Wenn wir heute mit unseren high-tech Motorrädern über die Landstraßen düsen und zweirädrigen Fahrgenuss in höchster Vollendung genießen, taucht doch ab und an der Gedanke an unsere Urgroßväter auf und die Frage stellt sich, wie die sich vor gut hundert Jahren ihre Träume vom motorisierten Zweiradfahren erfüllen konnten. Wobei damals allein schon die Möglichkeit der selbstbestimmten motorisierten Fortbewegung ein großer Traum war und Fragen wie Fahrkomfort, Schnelligkeit und einfache Bedienung erst an hinterer Stelle auftraten. Es ging einfach um den „selbstbeweglichen Eisenhaufen“, wie es einst ein Redakteur vom „Motorrad“ treffend bezeichnet hatte, der Unabhängigkeit und Aktionsradius versprach. Und da vor hundert Jahren das Geld in den Taschen sehr knapp war, begann der Traum erstmal mit einem der zahlreich angebotenen Hilfsmotoren für das oft schon vorhandene Fahrrad. Welche Probleme die Zeitgenossen aber damit zu meistern hatten, ist für uns heute nur schwer vorstellbar - wer ist schon im Besitz von solch einem uralten Fahrrad mit Hilfsmotor und kann detailliert darüber berichten?
Da ergab sich vor vielen Jahren plötzlich die Gelegenheit solch einen Hilfsmotor zu erwerben und der Kauf erfolgte aus dem Bauch heraus, ohne einen Gedanken an die vielen möglichen Probleme zu verschwenden, welche bis zur Fertigstellung des Projekts lauern könnten. Und es lauerten viele, begonnen bei uralten Kettenzollmaßen, verschlissenem Standmagneten, zerbrochener Schieber im Spritzdüsenvergaser, bis hin zu Zollschräubchen mit ungewöhnlichen Steigungen und seltsamen Lagerschalen. Wer hat schon mal von einem Fischer-Zündmagneten gehört, oder von einem Variat-Vergaser? Dass der Motor dann nicht so einfach in den Rahmen des zugekauften Brennabor Fahrrads aus den frühen 20er Jahren passte, wie die Werbung glauben machen wollte, und dass eine Riemenfelge heute fast nirgends mehr zu bekommen ist, waren nur weitere zwei Probleme von vielen.
Unterlagen zum Motor? Fehlanzeige! Auch was über den Hersteller Gustav Schulze aus Burg bei Magdeburg in Erfahrung zu bringen war, blieb dürftig, was kein Wunder war, gab es damals doch dutzende solcher Hersteller von Hilfsmotoren, von denen die meisten schnell wieder in der Versenkung verschwanden. Zumindest als Flugpionier hat sich Schulze aber vor dem Ersten Weltkrieg einen Namen gemacht und mit diesen technischen Erfahrungen gelang ihm schließlich nach dem Krieg die Konstruktion eines fortschrittlichen Zweitaktmotors. Aber beim Öffnen des gekauften Motors zeigte sich der unsachgemäße Eingriff eines Dorfschmieds beim Aufarbeiten des verschlissenen Kolbens, was nochmals viel Zeit und Geld kostete.
Auch die Aufarbeitung des zeitgemäß passenden Brennabor-Fahrrads war alles andere als einfach und machte nachdrücklich klar, dass die Fahrradtechnik aus dieser Zeit für heutige Restaurierer durchaus Fallstricke bereithält. Aber obwohl dieses Projekt nur nebenher lief und so viele Jahre vergingen, kam es doch endlich zum ersten Startversuch.
Als der dann, aufgebockt in der Garage erfolgte, gab es eine böse Überraschung in Form fürchterlicher Vibrationen. War die Folge überzogener Kompri, bekamen wir aber irgendwann noch hin und schlussendlich lief die Brennabor-GS, so wie es wohl bei ihrer Entstehung angedacht war. Das war aber vor mehr als hundert Jahren und wie damals mit dem Gerät gefahren werden konnte, das verbietet sich im heutigen Verkehr. Die Fahreindrücke sind zwiespältig und eindrücklich, sie erzeugen heute Hochachtung vor den Leistungen, welche unsere Urgroßväter damals erbringen mussten, um motorisiert von A nach B zu kommen.
Wer sich dafür interessiert, wie solch ein Gerät bedient wird, wie es fährt, mit welcher Technik es aufgebaut ist und wer etwas über den Flugpionier und Motorenbauer Gustav Schulze erfahren möchte, dem sei „Klassik Motorrad“ Heft 5/2025 empfohlen, da kann man die ganze, schön bebilderte Geschichte nachlesen.
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